SCHIENE regional - Bahnthemen Südwest

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Abschied vom Kleber-Express München-Freiburg

von Ulrich Bauer

Freitag 12.12.2003: vorletzte Fahrt des legendären "Fern-Eilzugs" München-Aulendorf-Freiburg. 379 km quer durch Süddeutschland in 6 1/4 Stunden. Am Sonntag ist Fahrplanwechsel, diese Verbindung wird es dann nur noch mit mehrfachem Umsteigen geben. Der "Kleber-Express", wie er lange inoffiziell, dann von 1997 bis 2001 sogar offiziell nach seinem Patron aus der Saulgauer "Hoteliersfamilie" Kleber genannt wurde, hat ausgedient. Er wird aufgeteilt in ein Triebwagen-Paar Neustadt/Schw.-Aulendorf und ein "lokbespanntes" Zugpaar Herbertingen-München.

Zuglaufschild Kleber-Express

Ehre, wem Ehre gebührt. Der Name Andreas Kleber steht für Bewegung in der Eisenbahnwelt. Viele Impulse zu Verbesserungen im Alltag der Eisenbahn sind ihm zu verdanken. Trotzdem ist es sehr ungewöhnlich, dass ein eher unbequemer Bahnliebhaber seinen "eigenen" Zug bekommt!

Was war nun so besonders an diesem Zug? Jedem oberschwäbischen Bahn- fahrer ist der "Kleber" ein Begriff, weniger als letzter Vertreter der legendären Ferneilzüge, eher als ein Zug, der sich von den anderen ein "bisschen" abgehoben hat. DER Zug, der Reisekultur verkörpert hat, mit dem man umsteigefrei und relativ schnell zu Orten kam, die sonst in der Ost-West-Schienen-Diaspora südlich der Hauptstrecke Karlsruhe-München nur mühevoll zu erreichen waren. So bin auch ich bahnseitig mit dem "Kleber" groß geworden, er ist mir auf vielen Bahnreisen irgendwann begegnet, oft habe ich ihn selbst genutzt. Doch noch nie bin ich mit ihm die ganze Strecke gefahren. Das "musste" ich mir zum Abschied gönnen:

München Hbf: RE 21208, so sein nüchterner "DB-Regio-Name", steht zur Abfahrt bereit. Pünktlich 9.51 Uhr zieht die Neuschwanstein-218 473, deren ehemals schönes Königsblau (auch ein Anachronismus im Nahverkehrs-Einheitsrot) schon ausgebleicht wirkt, den 4-Wagen-Zug aus dem Bahnhof. Die roten "ex-Silberlinge" sind mäßig besetzt, etwa 50 Fahrgäste. Sein Stammpublikum: einige ältere Reisende mit viel Gepäck, Junge vom Typ Student mit Rucksäcken "neusprech": "bäckpäckers") und 4 (vorübergehend?) vaterlose Familien, mit viel Gepäck wie die Alten und viel Spielzeug.

Die Lautsprecherstimme im Zug stammt noch von einem leibhaftigen Menschen, nicht vom Band. Wir werden schon fast "ICE-würdig" willkommen geheißen und gebeten, unsere Anliegen dem Personal vorzutragen. "Kleber-Zugbegleiter" sind in der Regel besonders zuvorkommend.

Draußen ist es grau in grau. S-Bahnhöfe huschen vorbei, im Wechsel mit viel Wald und Wiesen auf dem Weg nach Geltendorf. Die umlackierten Silberlinge schaukeln - Fahrkomfort von gestern, dafür weiche Sitzpolster, die diesen Namen noch verdienen. Unpassend in dieser harten dynamischen Zeit.

"Nächster Halt: Geltendorf!" Auf der dortigen Zugzielanzeige fehlt Freiburg schon. Wir erhalten geistliche Verstärkung: eine Ordensschwester mit riesiger (natürlich schwarzer) Reisetasche steigt zu.

In Geltendorf enden S-Bahn und MVV. Auf dem Weg nach Kaufering, beim ehemaligen "Bf" Schwabhausen, erinnern drei jüdische Grabsteine am Bahndamm an ein Massaker unter Insassen des KZ Kaufering, die in den letzten Kriegstagen mit dem Zug nach Dachau verfrachtet werden sollten.

Wie vor Geltendorf werden die "sehr geehrten Reisenden" bei der Einfahrt in Kaufering auf die Zuganschlüsse im dortigen Bahnknoten hingewiesen. Auf einer hohen Brücke überqueren wir den Lech, kurz darauf kommt der Zug unter schön verschnörkelten Bahnsteigdächern zum Stehen. Die sanfte Hügellandschaft wird durch das "topfebene" Lechfeld abgelöst. Der Zug trödelt regelrecht Buchloe entgegen. Wären nicht die herausgeputzten Kirchturmzwiebeln der weit von der Schiene entfernt liegenden Dörfern, man könnte fast auf den Gedanken kommen mit dem Eilzug Kreiensen-Kiel (auch so ein Heckeneilzug, der allerdings schon die 80er Jahre nicht überstanden hat) und der V 200 zwischen Gifhorn und Uelzen durch die Heideausläufer zu bummeln.

Buchloe: reger Fahrgastwechsel, wie üblich in diesem Taktknoten. Wir sind umringt von VT 642, den bayrischen Einheits-Nahverkehrstriebwagen. Auch DB Cargo (noch neudeutscher jetzt "Railion") ist hier noch richtig stark vertreten. Ab Buchloe wird die Strecke eingleisig.

Erinnerungen: Jahrelang war DER Zug auch mein Zug: vom Breisgau nach Oberschwaben und zurück. Ohne den lästigen Umstieg in Neustadt in die kleinen VT 628 mit den über längere Strecken unerträglich harten Sitzen. Was hat DER Zug für uns nicht alles transportiert: Kinderwagen, Fahrräder, einmal sogar Omas ausgewachsenen Ohrensessel im Steuerwagen. Der Schaffner damals war zwar ein wenig verdutzt, gab sich aber mit der Erklärung, "daß" ich mir meinen persönlichen Sitzplatz mitgebracht habe, zufrieden. Unsere Kinder haben in den - damals noch echten - Silberlingen das Laufen gelernt, von Armlehne zu Armlehne. Karten spielen, Buch "vorlesen", den Wind um die Nase wehen lassen, Burgen entdecken im oberen Donautal oder Tunnels zählen. Langweilig wurde es in diesem Zug nie. Man richtete sich ein und "genoss" die Reise, Reisekultur eben.

Türkheim "Bf", das schweizerische "z' nüüne" findet um elfe statt: 15 min Pause, Doppelkreuzung mit dem entgegenkommenden RE nach Augsburg und dem folgenden EC Zürich - München, der Freiburger grüßt den Züricher. Der Lokführer bittet um ein Abschiedsfoto. Für ihn ist's nicht nur die letzte Fahrt mit dem "Kleber", dieser Zug verschaffte seinem Personal immer auch eine Gelegenheit, dem üblichen Kurzstreckendienst einmal zu entfliehen.

Nächster Halt: Mindelheim, wieder ein kleiner Bahnknoten, üblicherweise Treffpunkt von 2-3 Zügen zu jeder Stunde. Doch der EC hat uns aus der Taktlage geworfen, wir halten einsam am Bahnhof.

Stetten, "Sontheim". Der "Kleber" macht auch vor Mittelschwabens Dorfbahnhöfen Halt, und nimmt sogar Fahrgäste auf: Stetten-Freiburg ohne Umsteigen. Passend zur Barocklandschaft zeigt sich sogar ein Streifen Blau am Himmel. Hinter Ungerhausen sind für einen Moment die Turmspitzen der berühmten Klosterkirche Ottobeuren zu sehen. Die dorthin führende Zweigstrecke existiert aber nur noch als Schotterwüste.

Auch den Allgäuknoten Memmingen erreichen wir wegen des "EC" zu spät, der IC nach Dortmund ist schon weg. Das alte "Bahnhofsgebäude hat "Die Bahn" durch ein rechteckiges, "Modularer Bahnhof" genanntes Beton-Glas-Gemisch ersetzt, nur das jetzt funktionslose Reiterstellwerk hat bisher der neuen Zeit standgehalten. Die hochmodernen stationsblauen Anzeiger am Bahnsteig weisen für unseren Zug das Ziel "Freiburg HB" aus, doch DER Zug fährt leider ins deutsche, nicht ins schweizerische Freiburg. Die Schweizer würden diesen Zug nicht aus dem Verkehr ziehen, sondern touristisch und kulinarisch aufgemotzt weiterfahren lassen, vielleicht als "Allgäu-Schwarzwald-Express", natürlich mit neuem Wagenmaterial. Träumerei, wir sind in Deutschland. Die Gleisanlagen des Memminger Güterbahnhofs sind auch weitgehend verwaist, immerhin transportiert "Railion" wenigstens noch Schrott und Holz.

Tannheim, "Marstetten-Aitrach", Aichstetten, unser Zug macht in Württemberg erst einmal wieder auf Dorf-Express, ehe wir mit Leutkirch eine der drei größeren württembergischen Allgäustädte erreichen. Die Gleise im südlichen Teil des dortigen Keilbahnhofes führten einst als Teil der württembergischen Allgäubahn von Isny nach Herbertingen. Bis Leutkirch ist sie stillgelegt, und der Rest der Gleise zum Abbau vorgesehen. Doch auch der Abschnitt Kißlegg-Herbertingen wäre ohne DEN Zug längst stillgelegt. Jahrelang war der "Kleber" die einzige nutzbare Verbindung von Oberschwaben ins württembergische Allgäu. Erst seit 1993 mit Einführung des Allgäu-Schwaben-Taktes sind diese Zeiten vorbei. DER Zug ist nur noch einer unter vielen Zügen im Stundentakt, aber der Einzige, in dem man nicht in Aulendorf umsteigen "muss".

Das Wetter wird freundlicher, in der Ferne grüßt die "Alperkette". Vorbei an etlichen Weihern geht es Richtung Kißlegg. Hier schwenkt die Schnellzugstrecke nach Lindau ab, wir aber wenden uns den oberschwäbischen Thermalbädern zu. Ab Kißlegg dient DER Zug auch den Schülern. Es ist 12.15, die 5. Schulstunde ist zu Ende.

Erinnerungen: Ob auf Radtouren ins Allgäu, zum Besuch der Wangener Großeltern, immer bin ich irgendwie im "Kleber" gelandet. Damals vermittelte er ein wenig die Welt des "großen" Fernverkehrs, ragte heraus aus den kleinen roten Geschwistern, den brummenden Schienenbussen mit ihren oft schlechten Anschlüssen. DER Zug hatte überall "Anschluß".

Wieder ein längerer Kreuzungsaufenthalt, in Wolfegg. DER Zug wartet auf den Nachfolger der roten Brummer, den VT 627 von Aulendorf nach Hergatz. Dann geht es flott durch die Moränenlandschaft Allgäu-Oberschwabens Bad Waldsee entgegen, der traditionsreichen Kurstadt, die einst den direkten "Anschluß" an die Südbahn Ulm-Bodensee "verpasste" und erst mit der Allgäubahn an das Schienennetz angebunden wurde. Auch heute noch stehen hier regelmäßig die Kurgäste mit ihren schweren Koffern am Bahnsteig.

Weiter geht es mit mehr als 100 Fahrgästen Richtung Aulendorf, dem Eisenbahnknoten Oberschwabens. Dort verlassen zahlreiche Umsteiger Richtung Ulm den Zug, ehe er nach nur kurzem Aufenthalt vor dem eigentlichen Taktzug dem Donautal zustrebt.

In Altshausen gibt es einen virtuellen Halt. Dort begegnen sich die beiden Expresse, ohne offiziell zu halten. In Wirklichkeit müssen aber beide halten, denn das Zugbegleitpersonal wechselt in den jeweiligen Gegenzug. Für uns folgt Bad Saulgau, Storchenstadt und jüngstes Mitglied im Reigen der oberschwäbischen Heilbäder. Hier herrschte Andreas Kleber bis 2000 nicht nur im gleichnamigen Hotel, von hier wachte er auch über "seinen" Zug, der den DB-Oberen jahrelang ein Dorn im Auge war. Wieder stürmen Schüler den Zug, die Sitzplätze in den vier Wagen werden knapp. Farbenfrohe Igelfrisuren, "xxl-Hosen", "Discman-Gedudel" und frühhormonelles Geschwafel beherrschen die Szene - auch in Oberschwaben geht "mann" mit der Mode.

Zur Rechten grüßt der Bussen, der "heilige Berg" Oberschwabens, wenig später liegt Herbertingen vor uns, ebenfalls mit Storchennest. Der größte Teil der Schüler sucht im Orts-Haltepunkt das Weite, Ruhe kehrt ein nach dem Sturm. Im Bahnhof Herbertingen heißt uns der Fahrdienstleiter "herzlich willkommen", wir haben die Donautalbahn erreicht. Die alte Fuhrmannsstadt Mengen, unser nächster Halt, ist heute das Rangierzentrum der "Hohenzollerischen" Landesbahn ("HzL"). Die rührige "HzL" betreibt im Auftrag der DB das, was letztere sonst längst beseitigt hat: einen regen Güterverkehr.

Sigmaringen, die Garnisonsstadt, macht ihrem Namen alle Ehre, wir werden olivgrün besetzt. Mit ca. 250 Fahrgästen durchfahren wir den wohl schönsten Abschnitt der Stecke, das Durchbruchstal der Donau durch die Schwäbische Alb. Hier sind schon die 70 km/h zu schnell, um sich "satt sehen" zu können: schroffe Kalkfelsen spiegeln sich im Wasser, Burgen, hinter jedem Tunnel ein anderer Ausblick im canon-artig eingeschnittenen Tal. Zur Halbzeit, in der Mitte des Tales, legen wir einen kurzen Halt in Beuron mit seiner berühmten Erzabtei ein.

Kleber-Express mit Anschluss nach Stuttgart In Tuttlingen kreuzt der Regionalexpress von Singen nach Stuttgart den Fahrweg
des Kleber-Express. Die Abfahrzeit 11.47 Uhr ist schon um 2 Minuten überschritten,
aber gleich wird sich der Signalflügel heben.

In Tuttlingen, der Stadt, ohne deren Erzeugnisse die Chirurgen hilflos wären, kreuzen wir die Gäubahn Stuttgart-Singen. Im "Kleber" wird es langsam eng - doch einer "verlässt" dort die Lok des Zuges: Andreas Kleber, Namensgeber und inzwischen Hotelier in Bad Herrenalb. Ab Immendingen, dem nächsten Bahnhof, folgen wir der zweigleisigen Schwarzwaldbahn durch das sich wieder weitende Donautal und -"ried" bis zur Quelle in Donaueschingen, mit einem kurzen Zwischenhalt in Geisingen.

In Donaueschingen wechselt DER Zug die Fahrtrichtung, Zeit, sich etwas die Beine zu vertreten. Es folgt Hüfingen, das neuerdings "Hüfingen Mitte" heisst, dann "Döggingen". Wir sind auf der kalten "Baar".

Erinnerungen: wer autobefreit lebt, macht manchmal unkonventionelle Transporte. Wie kommt eine halbe Bio-Sau von der "Baar" an den Rhein? Per Rad und Bahn natürlich. Zweimal jährlich war ich froh, mit den prallen Satteltaschen und einer Kiste voll ehemaliger Lebendware von der "Baar" nicht in Neustadt umsteigen zu müssen. Oder die Wandertouren in der Wutachschlucht: nichts Schöneres als sich müde in die weichen Sitze zu lümmeln und dösend der Heimat entgegenzudämmern, ohne Angst den Umstieg zu verpassen.

Löffingen, wir haben das Regiokarten-Paradies erreicht, das vom Rhein und Freiburg bis hierher an den Ostrand des Schwarzwaldes reicht. Sitzplätze gibt es jetzt kaum noch, auch im kleinen Rötenbach steigen viele Fahrgäste zu, und spätestens in Neustadt macht sich das Manko des Zuges deutlich bemerkbar: für eine Region mit wirklich attraktiven Fahrpreisen bietet DER Zug zu wenig Platz. Und den Zug auf dem Abschnitt Neustadt-Freiburg zu verstärken, dafür ist unsere Bahn leider nicht flexibel genug. Ihre Fahrgäste sollten das aber sein, deshalb heißt es auch für uns künftig in Neustadt: raus aus dem Triebwagen, rein in den "Doppelstöcker" - nein, so natürlich nicht, sondern: "in Kürze erreichen wir Neustadt im Schwarzwald. Der Zug endet hier, bitte alles aussteigen!" Heute jedoch noch nicht, DER Zug fährt als einziger weiter über Titisee nach Hinterzarten und hinab durchs "Höllental" ins Himmelreich, gerade wie im richtigen Leben. Doch im Himmelreich halten wir uns nicht lange auf, wir wollen noch weiter nach Kirchzarten, Littenweiler, Wiehre oder bis zum Freiburger Hauptbahnhof. 16.18 Uhr, Ende.

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