SCHIENE regional - Bahnthemen Südwest
© 2008 by Frank-D. Paßlick, Gengenbach
Abschied vom Kleber-Express München-Freiburg
von Ulrich Bauer
Freitag 12.12.2003: vorletzte
Fahrt des legendären "Fern-Eilzugs" München-Aulendorf-Freiburg. 379 km quer
durch Süddeutschland in 6 1/4 Stunden. Am Sonntag ist Fahrplanwechsel, diese
Verbindung wird es dann nur noch mit mehrfachem Umsteigen geben. Der
"Kleber-Express", wie er lange inoffiziell, dann von 1997 bis 2001 sogar
offiziell nach seinem Patron aus der Saulgauer "Hoteliersfamilie"
Kleber genannt wurde, hat ausgedient. Er wird aufgeteilt in ein Triebwagen-Paar
Neustadt/Schw.-Aulendorf und ein "lokbespanntes"
Zugpaar Herbertingen-München.
Ehre, wem Ehre gebührt. Der Name Andreas Kleber steht für Bewegung in der Eisenbahnwelt. Viele Impulse zu Verbesserungen im Alltag der Eisenbahn sind ihm zu verdanken. Trotzdem ist es sehr ungewöhnlich, dass ein eher unbequemer Bahnliebhaber seinen "eigenen" Zug bekommt!
Was war nun so besonders an
diesem Zug? Jedem oberschwäbischen Bahn- fahrer ist der "Kleber" ein Begriff,
weniger als letzter Vertreter der legendären Ferneilzüge, eher als ein Zug, der
sich von den anderen ein "bisschen" abgehoben hat. DER
Zug, der Reisekultur verkörpert hat, mit dem man umsteigefrei und relativ
schnell zu Orten kam, die sonst in der Ost-West-Schienen-Diaspora südlich der
Hauptstrecke Karlsruhe-München nur mühevoll zu erreichen waren. So bin auch ich
bahnseitig mit dem "Kleber" groß geworden, er ist mir auf vielen Bahnreisen
irgendwann begegnet, oft habe ich ihn selbst genutzt. Doch noch nie bin ich mit
ihm die ganze Strecke gefahren. Das "musste" ich mir zum
Abschied gönnen:
München Hbf: RE 21208, so sein
nüchterner "DB-Regio-Name", steht zur Abfahrt bereit.
Pünktlich 9.51 Uhr zieht die Neuschwanstein-218 473, deren ehemals schönes
Königsblau (auch ein Anachronismus im Nahverkehrs-Einheitsrot) schon ausgebleicht
wirkt, den 4-Wagen-Zug aus dem Bahnhof. Die roten "ex-Silberlinge"
sind mäßig besetzt, etwa 50 Fahrgäste. Sein Stammpublikum: einige ältere
Reisende mit viel Gepäck, Junge vom Typ Student mit Rucksäcken "neusprech":
"bäckpäckers") und 4 (vorübergehend?) vaterlose Familien, mit viel
Gepäck wie die Alten und viel Spielzeug.
Die Lautsprecherstimme im Zug
stammt noch von einem leibhaftigen Menschen, nicht vom Band. Wir werden schon
fast "ICE-würdig" willkommen geheißen und gebeten,
unsere Anliegen dem Personal vorzutragen. "Kleber-Zugbegleiter"
sind in der Regel besonders zuvorkommend.
Draußen ist es grau in grau.
S-Bahnhöfe huschen vorbei, im Wechsel mit viel Wald und Wiesen auf dem Weg nach
Geltendorf. Die umlackierten Silberlinge schaukeln - Fahrkomfort von gestern,
dafür weiche Sitzpolster, die diesen Namen noch verdienen. Unpassend in dieser
harten dynamischen Zeit.
"Nächster Halt: Geltendorf!" Auf
der dortigen Zugzielanzeige fehlt Freiburg schon. Wir erhalten geistliche
Verstärkung: eine Ordensschwester mit riesiger (natürlich schwarzer)
Reisetasche steigt zu.
In Geltendorf enden S-Bahn und
MVV. Auf dem Weg nach Kaufering, beim ehemaligen "Bf"
Schwabhausen, erinnern drei jüdische Grabsteine am Bahndamm an ein Massaker
unter Insassen des KZ Kaufering, die in den letzten Kriegstagen mit dem Zug
nach Dachau verfrachtet werden sollten.
Wie vor Geltendorf werden die
"sehr geehrten Reisenden" bei der Einfahrt in Kaufering auf die Zuganschlüsse
im dortigen Bahnknoten hingewiesen. Auf einer hohen Brücke überqueren wir den
Lech, kurz darauf kommt der Zug unter schön verschnörkelten Bahnsteigdächern
zum Stehen. Die sanfte Hügellandschaft wird durch das "topfebene"
Lechfeld abgelöst. Der Zug trödelt regelrecht Buchloe entgegen. Wären nicht die
herausgeputzten Kirchturmzwiebeln der weit von der Schiene entfernt liegenden
Dörfern, man könnte fast auf den Gedanken kommen mit dem Eilzug Kreiensen-Kiel
(auch so ein Heckeneilzug, der allerdings schon die 80er Jahre nicht
überstanden hat) und der V 200 zwischen Gifhorn und Uelzen durch die
Heideausläufer zu bummeln.
Buchloe: reger Fahrgastwechsel,
wie üblich in diesem Taktknoten. Wir sind umringt von VT 642, den bayrischen
Einheits-Nahverkehrstriebwagen. Auch DB Cargo (noch neudeutscher jetzt "Railion")
ist hier noch richtig stark vertreten. Ab Buchloe wird die Strecke eingleisig.
Erinnerungen:
Jahrelang war DER Zug auch mein Zug: vom Breisgau nach Oberschwaben und zurück.
Ohne den lästigen Umstieg in Neustadt in die kleinen VT 628 mit den über
längere Strecken unerträglich harten Sitzen. Was hat DER Zug für uns nicht
alles transportiert: Kinderwagen, Fahrräder, einmal sogar Omas ausgewachsenen
Ohrensessel im Steuerwagen. Der Schaffner damals war zwar ein wenig verdutzt,
gab sich aber mit der Erklärung, "daß" ich mir meinen
persönlichen Sitzplatz mitgebracht habe, zufrieden. Unsere Kinder haben in den
- damals noch echten - Silberlingen das Laufen gelernt, von Armlehne zu
Armlehne. Karten spielen, Buch "vorlesen", den Wind um
die Nase wehen lassen, Burgen entdecken im oberen Donautal oder Tunnels zählen.
Langweilig wurde es in diesem Zug nie. Man richtete sich ein und "genoss"
die Reise, Reisekultur eben.
Türkheim "Bf",
das schweizerische "z' nüüne" findet um elfe statt:
15 min Pause, Doppelkreuzung mit dem entgegenkommenden RE nach Augsburg und dem
folgenden EC Zürich - München, der Freiburger grüßt den Züricher. Der Lokführer
bittet um ein Abschiedsfoto. Für ihn ist's nicht nur die letzte Fahrt mit dem
"Kleber", dieser Zug verschaffte seinem Personal immer auch eine Gelegenheit,
dem üblichen Kurzstreckendienst einmal zu entfliehen.
Nächster Halt: Mindelheim, wieder
ein kleiner Bahnknoten, üblicherweise Treffpunkt von 2-3 Zügen zu jeder Stunde.
Doch der EC hat uns aus der Taktlage geworfen, wir halten einsam am Bahnhof.
Stetten, "Sontheim".
Der "Kleber" macht auch vor Mittelschwabens Dorfbahnhöfen Halt, und nimmt sogar
Fahrgäste auf: Stetten-Freiburg ohne Umsteigen. Passend zur Barocklandschaft
zeigt sich sogar ein Streifen Blau am Himmel. Hinter Ungerhausen sind für einen
Moment die Turmspitzen der berühmten Klosterkirche Ottobeuren zu sehen. Die
dorthin führende Zweigstrecke existiert aber nur noch als Schotterwüste.
Auch den Allgäuknoten Memmingen
erreichen wir wegen des "EC" zu spät, der IC nach
Dortmund ist schon weg. Das alte "Bahnhofsgebäude hat "Die Bahn"
durch ein rechteckiges, "Modularer Bahnhof" genanntes Beton-Glas-Gemisch
ersetzt, nur das jetzt funktionslose
Reiterstellwerk hat bisher der neuen Zeit standgehalten. Die hochmodernen
stationsblauen Anzeiger am Bahnsteig weisen für unseren Zug das Ziel "Freiburg
HB" aus, doch DER Zug fährt leider ins deutsche, nicht ins schweizerische
Freiburg. Die Schweizer würden diesen Zug nicht aus dem Verkehr ziehen, sondern
touristisch und kulinarisch aufgemotzt weiterfahren lassen, vielleicht als
"Allgäu-Schwarzwald-Express", natürlich mit neuem Wagenmaterial. Träumerei, wir
sind in Deutschland. Die Gleisanlagen des Memminger Güterbahnhofs sind auch
weitgehend verwaist, immerhin transportiert "Railion"
wenigstens noch Schrott und Holz.
Tannheim, "Marstetten-Aitrach",
Aichstetten, unser Zug macht in Württemberg erst einmal wieder auf
Dorf-Express, ehe wir mit Leutkirch eine der drei größeren württembergischen
Allgäustädte erreichen. Die Gleise im südlichen Teil des dortigen Keilbahnhofes
führten einst als Teil der württembergischen Allgäubahn von Isny nach
Herbertingen. Bis Leutkirch ist sie stillgelegt, und der Rest der Gleise zum
Abbau vorgesehen. Doch auch der Abschnitt Kißlegg-Herbertingen wäre ohne DEN
Zug längst stillgelegt. Jahrelang war der "Kleber" die einzige nutzbare
Verbindung von Oberschwaben ins württembergische Allgäu. Erst seit 1993 mit
Einführung des Allgäu-Schwaben-Taktes sind diese Zeiten vorbei. DER Zug ist nur
noch einer unter vielen Zügen im Stundentakt, aber der Einzige, in dem man
nicht in Aulendorf umsteigen "muss".
Das Wetter wird freundlicher, in
der Ferne grüßt die "Alperkette". Vorbei an etlichen
Weihern geht es Richtung Kißlegg. Hier schwenkt die Schnellzugstrecke nach
Lindau ab, wir aber wenden uns den oberschwäbischen Thermalbädern zu. Ab
Kißlegg dient DER Zug auch den Schülern. Es ist 12.15, die 5. Schulstunde ist
zu Ende.
Erinnerungen:
Ob auf Radtouren ins Allgäu, zum Besuch der Wangener Großeltern, immer bin ich
irgendwie im "Kleber" gelandet. Damals vermittelte er ein wenig die Welt des
"großen" Fernverkehrs, ragte heraus aus den kleinen roten Geschwistern, den
brummenden Schienenbussen mit ihren oft schlechten Anschlüssen. DER Zug hatte
überall "Anschluß".
Wieder ein längerer
Kreuzungsaufenthalt, in Wolfegg. DER Zug wartet auf den Nachfolger der roten
Brummer, den VT 627 von Aulendorf nach Hergatz. Dann geht es flott durch die
Moränenlandschaft Allgäu-Oberschwabens Bad Waldsee entgegen, der
traditionsreichen Kurstadt, die einst den direkten "Anschluß"
an die Südbahn Ulm-Bodensee "verpasste" und erst mit der
Allgäubahn an das Schienennetz angebunden wurde. Auch heute noch stehen hier
regelmäßig die Kurgäste mit ihren schweren Koffern am Bahnsteig.
Weiter geht es mit mehr als 100
Fahrgästen Richtung Aulendorf, dem Eisenbahnknoten Oberschwabens. Dort
verlassen zahlreiche Umsteiger Richtung Ulm den Zug, ehe er nach nur kurzem
Aufenthalt vor dem eigentlichen Taktzug dem Donautal zustrebt.
In Altshausen gibt es einen
virtuellen Halt. Dort begegnen sich die beiden Expresse, ohne offiziell zu
halten. In Wirklichkeit müssen aber beide halten, denn das Zugbegleitpersonal
wechselt in den jeweiligen Gegenzug. Für uns folgt Bad Saulgau, Storchenstadt
und jüngstes Mitglied im Reigen der oberschwäbischen Heilbäder. Hier herrschte
Andreas Kleber bis 2000 nicht nur im gleichnamigen Hotel, von hier wachte er
auch über "seinen" Zug, der den DB-Oberen jahrelang ein Dorn im Auge war.
Wieder stürmen Schüler den Zug, die Sitzplätze in den vier Wagen werden knapp.
Farbenfrohe Igelfrisuren, "xxl-Hosen", "Discman-Gedudel"
und frühhormonelles Geschwafel beherrschen
die Szene - auch in Oberschwaben geht "mann" mit der Mode.
Zur Rechten grüßt der Bussen, der
"heilige Berg" Oberschwabens, wenig später liegt Herbertingen vor uns,
ebenfalls mit Storchennest. Der größte Teil der Schüler sucht im
Orts-Haltepunkt das Weite, Ruhe kehrt ein nach dem Sturm. Im Bahnhof
Herbertingen heißt uns der Fahrdienstleiter "herzlich willkommen", wir haben
die Donautalbahn erreicht. Die alte Fuhrmannsstadt Mengen, unser nächster Halt,
ist heute das Rangierzentrum der "Hohenzollerischen"
Landesbahn ("HzL"). Die rührige "HzL"
betreibt im Auftrag der DB das, was letztere sonst längst beseitigt hat: einen
regen Güterverkehr.
Sigmaringen, die Garnisonsstadt,
macht ihrem Namen alle Ehre, wir werden olivgrün besetzt. Mit ca. 250
Fahrgästen durchfahren wir den wohl schönsten Abschnitt der Stecke, das
Durchbruchstal der Donau durch die Schwäbische Alb. Hier sind schon die 70 km/h
zu schnell, um sich "satt sehen" zu können: schroffe
Kalkfelsen spiegeln sich im Wasser, Burgen, hinter jedem Tunnel ein anderer
Ausblick im canon-artig eingeschnittenen Tal. Zur Halbzeit, in der Mitte des
Tales, legen wir einen kurzen Halt in Beuron mit seiner berühmten Erzabtei ein.
In Tuttlingen kreuzt der Regionalexpress von Singen nach Stuttgart den Fahrweg des Kleber-Express.
Die Abfahrzeit 11.47 Uhr ist schon um 2 Minuten überschritten, aber gleich wird sich der Signalflügel heben.
In Tuttlingen, der Stadt, ohne
deren Erzeugnisse die Chirurgen hilflos wären, kreuzen wir die Gäubahn
Stuttgart-Singen. Im "Kleber" wird es langsam eng - doch einer "verlässt"
dort die Lok des Zuges: Andreas Kleber, Namensgeber
und inzwischen Hotelier in Bad Herrenalb. Ab Immendingen, dem nächsten Bahnhof,
folgen wir der zweigleisigen Schwarzwaldbahn durch das sich wieder weitende
Donautal und -"ried" bis zur Quelle in Donaueschingen,
mit einem kurzen Zwischenhalt in Geisingen.
In Donaueschingen wechselt DER
Zug die Fahrtrichtung, Zeit, sich etwas die Beine zu vertreten. Es folgt
Hüfingen, das neuerdings "Hüfingen Mitte" heisst, dann "Döggingen".
Wir sind auf der kalten "Baar".
Erinnerungen:
wer autobefreit lebt, macht manchmal unkonventionelle Transporte. Wie kommt
eine halbe Bio-Sau von der "Baar" an den Rhein? Per Rad
und Bahn natürlich. Zweimal jährlich war ich froh, mit den prallen
Satteltaschen und einer Kiste voll ehemaliger Lebendware von der
"Baar" nicht in Neustadt umsteigen zu müssen. Oder die
Wandertouren in der Wutachschlucht: nichts Schöneres als sich müde in die
weichen Sitze zu lümmeln und dösend der Heimat entgegenzudämmern, ohne Angst
den Umstieg zu verpassen.
Löffingen, wir haben das
Regiokarten-Paradies erreicht, das vom Rhein und Freiburg bis hierher an den
Ostrand des Schwarzwaldes reicht. Sitzplätze gibt es jetzt kaum noch, auch im
kleinen Rötenbach steigen viele Fahrgäste zu, und spätestens in Neustadt macht
sich das Manko des Zuges deutlich bemerkbar: für eine Region mit wirklich
attraktiven Fahrpreisen bietet DER Zug zu wenig Platz. Und den Zug auf dem
Abschnitt Neustadt-Freiburg zu verstärken, dafür ist unsere Bahn leider nicht
flexibel genug. Ihre Fahrgäste sollten das aber sein, deshalb heißt es auch für
uns künftig in Neustadt: raus aus dem Triebwagen, rein in den "Doppelstöcker"
- nein, so natürlich nicht, sondern: "in Kürze erreichen wir Neustadt im Schwarzwald.
Der Zug endet hier, bitte alles aussteigen!" Heute jedoch noch nicht,
DER Zug fährt als einziger weiter über Titisee nach Hinterzarten und hinab
durchs "Höllental" ins Himmelreich, gerade wie im
richtigen Leben. Doch im Himmelreich halten wir uns nicht lange auf, wir wollen
noch weiter nach Kirchzarten, Littenweiler, Wiehre
oder bis zum Freiburger Hauptbahnhof. 16.18 Uhr, Ende.
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