07.07.2000 / pa      Architekturprofessor Roland Günter (im Foto rechts) ist in seinem Element. Einer Gruppe von Interessierten wird bei einer Begehung des seit vielen Jahren nicht mehr von der (ehemaligen Bundes-) Bahn genutzten Ausbesserungswerks (AW) Offenburg die Bedeutung dieses wertvollen Industriedenkmals aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts erläutert.

 

 

Professor Roland Günter bei der Begehung in Lokrichthalle 1


Und so erlebte ein Beobachter vor 75 Jahren die Arbeit in der Lok-Richthalle 1...

"Beim Eintritt in den Raum der Lokomotivmontierung verkündet ein ohrenbetäbendes Gerassel die Arbeit der dort zu hunderten beschäftigten Menschen, welche mit verschiedenen Werkzeugen und Maschinen spezifisch produzieren. Eine Gruppe ist soeben mit den Anordnungen zum Heben einer Lokomotive beschäftigt. Gewaltige Krahnen fassen in einem Joch den Dampfkoloß und heben das eiserne Ungeheuer in die Höhe. Im Nu rollen flinke Arbeitshände die Räder weg, Krahnen senken sich, die Lokomotive wird unterbaut zwecks weiterer Abmontage. Elektrotransportkarren werden mit den für die einzelnen Spezialarbeitsgruppen bestimmten Materialien beladen, pfeilgeschwind fahren sie auf den bezeichneten Fahrstraßen dahin, Boschsignalhörner befehlen die Freihaltung der Fahrstraße, alles funktioniert minutengenau nach dem vorgeschriebenen Arbeitsplan.

Ein seltener Anblick ist doch dieser nach amerikanischer Art durchgeführte Arbeitsgang, verbunden mit einer sogenannten Zeitaufnahme. Der Zeitaufnehmer erscheint mit einem Schreibbrett, auf welchem drei Stoppuhren angebracht sind, vollzieht die Einsetzung der zu erarbeitenden Zeitziffern auf einem sogenannten Zeitbogen. Nach diesem Verfahren wird das Arbeitsleistungsmaß des einzelnen Arbeiters erforscht, dann das der Gruppe zusammengefaßt.

Hier arbeiten Kesselschmiede mit Lufthämmern, Stemmern und sonstigen schweren Werkzeugen. Nervenzerrüttende, ohrenbetäubende Arbeit! Dort das Ausmontieren einer rußigen Rauchkammer, einige Schritte weiter Spezialgruppen zum Aufarbeiten der Einzelteile, zum Ausprobieren, Zusammenbauen usw., wie Luftbremssteuerung, Achslager, Rohr= und Schmierleitungen, ferner Gruppen für Armatur, Kolben= und Schieberfeinarbeit.

Hochinteressant sind neben den Ausmeßwerkzeugen die vielerlei Spezialmaschinen. In der Elektro= und Autogenschweißerei, in der Lokomotiv=Tender= Werkstätte, im riesigen Ersatzstofflager, in der Schmiede und in der Dreherei gibt es Interessantes zu sehen.

Überall Menschen in körperlicher und geistiger Anstrengung, ringend für riesige Leistungen mit ihren Arbeitsmaschinen bei angespannter Nervenkraft, um die nach Zeit und Minuten berechnete Leistung zu erreichen. Allüberall sieht man den schematisierenden Arbeitsgang, alles geht vor sich unter dem Motto Thypisierung, Rationalisierung. "

Beschreibung der Richthalle 1 anläßlich des Besuchs vom Landtagsabgeordneten Marzloff, aus "Volkswacht", geschrieben von Betriebsrat Fritz Vogel, Erscheinungsdatum unbekannt (wahrscheinlich im Jahr 1926).



Ausbesserungswerk Offenburg  -  ein Web-Projekt der SCHIENE regional   © 2000 - 2005 Frank-D. Paßlick